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Traffic light coalition calculates the care finances nicely

Gesundheitsökonomen werfen der Bundesregierung vor, sich die Pflegefinanzen schönzurechnen. Die jüngsten Annahmen zum Mittelbedarf und zu den nötigen Beitragsanhebungen seien viel zu gering und von zweifelhafter methodischer Qualität, kritisiert der „Expertenrat Pflegefinanzen“, den der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) ins Leben gerufen hat.

Besonders hart gehen die Fachleute mit dem Berliner IGES-Institut ins Gericht, auf dessen Berechnungen sich der im Mai erschienene interministerielle Bericht der Bundesregierung zur „zukunftssicheren Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung“ stützt. „Der Expertenrat warnt ausdrücklich davor, die Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung auf Grundlage derart unrealistisch optimis­tischer Annahmen zu prognostizieren“, heißt es in einer Stellungnahme, die der F.A.Z. vorliegt.

So beziffere das IGES die durchschnittliche Lohnsteigerung auf 3 Prozent im Jahr, obgleich sie in der Pflege viel höher sei. Das liege an der Ausweitung der Tarifbindung und an den Personalbemessungsvorgaben. Auch die allgemeine Inflation werde mit 1,5 Prozent unterschätzt. Zugleich zeichne das Ber­liner Institut eine zu optimistische Zukunft für die Einnahmen der Pflegekassen. Daraus konstruiere die Bundesregierung dann eine „unrealistisch nied­rige Beitragsentwicklung“.

„Keine realistischen Daten“

Vergangenes Jahr hatte der Expertenrat der PKV ein eigenes Reformkonzept namens „Pflege Plus“ vorgestellt. Dessen Methodik sei viel belastbarer als jene des IGES, heißt es jetzt: Das versicherungsmathematische Verfahren beziffere den Beitragsbedarf auf das Doppelte dessen, was auf Grundlage der Berliner Zahlen für diese Art der Absicherung nötig wäre. Anders als die IGES-Szenarien sehe „Pflege Plus“ überdies Altersrückstellungen vor, um Prämiensteigerungen zu dämpfen. Wie irreführend die falschen Annahmen seien, zeige sich in den Pflegekostenzuschüssen für die Ei­genanteile in der stationären Betreuung: Statt auf 2,75 Milliarden Euro wie erwartet, hätten sie sich 2022 auf mehr als 5 Milliarden Euro belaufen.

„Der Pflegebericht der Bundesregierung liefert keine realistischen Daten zum bevorstehenden Anstieg der Pflegekosten“, sagt der Leiter des Expertenrats Pflegefinanzen, Jürgen Wasem; er ist Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen. „Es wäre fatal, die Pflegefinanzreform auf der wackligen Grundlage dieser viel zu op­timistischen Annahmen zu entwerfen.“ Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat für den Herbst eine Finanz­reform angekündigt. Der jüngste interministerielle Bericht spielt dafür unterschiedliche, sich teilweise widersprechende Szenarien durch, darunter die Einführung kapitalgedeckter Verfahren als Ergänzung zur bisherigen Umlage.

Wasem begrüßt den Ansatz, verlangt aber: „Dieses zusätzliche Vorsorgekapital muss solide durchgerechnet sein und vor einem zweckwidrigen Zugriff der Politik geschützt werden.“ Der Expertenrat erinnerte an die derzeit nach Haushaltslage gedrosselte Befüllung des Pflegevorsorgefonds für die Generation der Babyboomer. Dort seien die „Gefahren der politischen Einflussnahme klar dokumentiert.“

Die andere vom Bund erwogene Möglichkeit zur Finanzsanierung, die Ausweitung des Umlagesystems, lehnen die Wissenschaftler ab. „Davor können wir nur warnen, denn die Umlagefinanzierung wackelt heute schon, obwohl ihr der Kostenschub der Babyboomer erst noch bevorsteht“, sagt Wasem. „Zusätzliche Leistungen im Um­lageverfahren belasten einseitig die jüngeren Generationen.“ Solche Über­legungen seien auch sozial ungerecht: „Sie wären eine sozialpolitisch fragwürdige Umverteilung zugunsten derjenigen, die sich die Pflegeeigenanteile aus ihren Einkünften und Vermögen gut leisten können.“